“Der FDP-Vorschlag teilt nicht das Ziel einer gerechten repräsentativen Volkssouveränität”
Die FDP hat einen Entwurf zum Wahlrechtssystem eingebracht zu dem sie auch ein Volksbegehren plant. Daniela Evers hat in ihrer Rede deutlich gemacht, warum sie den Entwurf inhaltlich ablehnt und auch verfassungsrechtlich für problematisch hält:“
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
manchmal helfen Vergleich um eine Debatte einzusortieren:
Mecklenburg-Vorpommern 44.000,
Sachsen-Anhalt 53.000,
Brandenburg 57.000,
Rheinland-Pfalz 78.000,
Niedersachsen 91.000,
Baden-Württemberg 158.000.
Das ist die Anzahl der Menschen, die derzeit im Schnitt in einem Landtags-Wahlkreis wohnen. Nach Vorstellung der FDP soll Baden-Württemberg in diesem Ranking – mit fast 300.000 Menschen pro Wahlkreis – einsamer Spitzenreiter werden. Das wäre allerdings kein lobenswerter Spitzenplatz, sondern würde die Interessenvertretung erschweren, die Bürgernähe reduzieren und damit unserem gemeinsamen Ziel, nahbare Abgeordnete zu sein, widersprechen.
Eine Debatte um eine Wahlrechtsreform muss sich im Kern um die Frage drehen, wie wir die repräsentativ eingeschränkte Volkssouveränität möglichst gerecht wahren.
Ein möglicher Weg zu dem Ziel einer gerechten, repräsentativ eingeschränkten Volkssouveränität sind Direktmandate. Herr Brugger hat in der Anhörung darauf verwiesen, dass die USA oder das Vereinigten Königreich bei der Zusammensetzung ihrer Parlamente ausschließlich auf Direktmandate setzen. „The winner takes it all“ birgt aber die Gefahr, dass Minderheiten keine Repräsentation bekommen und die Sitzverteilung im Parlament nicht der Verteilung der insgesamt abgegebenen Stimmen entspricht.
Ein Wahlsystem bei dem die Sitze möglichst genau in dem Verhältnis zugeteilt werden, in welchem abgestimmt wurde, ist die Verhältniswahl. Hier ist die Personenauswahl über Parteilisten organisiert. In der Gesamtschau aller Kandidatinnen haben Parteien damit die Möglichkeit zu beeinflussen, dass ihre Fraktion möglichst vielfältig sein wird. Eine reine Verhältniswahl mit Parteilisten würde aber auch bedeuten, dass Wählerinnen in der Auswahl von Personen eingeschränkt wären.
Ich bin daher froh, dass wir uns mit der historischen Wahlrechtsreform zu Beginn der Legislatur für eine Verbindung von Wahlkreiswahl und Listenwahl entschieden haben. Beide haben ihre Existenzberechtigung und sollten in einer gleichberechtigten Kombination zueinanderstehen.
Die FDP schlägt nun eine Wahlkreisreduzierung von 70 auf 38 vor. Gleichzeitig soll die Zahl der Abgeordneten die über die Liste einziehen auf mindestens 82 steigen. Das ist keine gleichberechtige Kombination aus Persönlichkeits- und Verhältniswahl. Bei diesem Verhältnis hätten die Wähler*innen zu wenig Einfluss darauf, welche Personen am Ende im Parlament sitzen werden. Zu meinen verfassungsrechtlichen Bedenken hatte ich mich daher schon in der ersten Lesung geäußert, auch das weitere Verfahren hat dazu keine Klarheit gebracht.
Die FDP begründet ihren Vorschlag damit, dass sie einen aufgeblähten Landtag verhindern wolle. Ich teile das Ziel, dass der Landtag nicht weit über seine Sollgröße von 120 Mandaten hinauswachsen sollte. Dass dies so kommen wird, ist jedoch reine Spekulation. In Mecklenburg-Vorpommern oder in Rheinland-Pfalz hat das Zweistimmenwahlrecht beispielsweise zu weniger Überhangmandaten geführt.
Bei aller berechtigten Diskussion über die Größe des Landtages steht für mich das Ziel im Vordergrund, dass die repräsentativ eingeschränkte Volkssouveränität möglichst gerecht gewahrt werden muss. Dieses Ziel sollte bei jeder Debatte um eine Wahlrechtsreform im Zentrum stehen. Der Änderungsvorschlag der FDP ist in dieser Hinsicht keine Verbesserung zu unserem neuen Wahlsystem und daher abzulehnen.“