Grünen-Migrationsexpertin: „Ich sehe einen sehr großen Willen zu helfen“

Aus dem BZ Interview vom 23.03 übernommen: https://www.badische-zeitung.de/gruenen-migrationsexpertin-ich-sehe-einen-sehr-grossen-willen-zu-helfen–210777830.html

Vor einem Jahr wurde Daniela Evers erstmals in den Landtag gewählt. Die Grünen-Abgeordnete sieht das Land gut aufgestellt, um Flüchtlinge aus der Ukraine aufzunehmen.

Vor einem Jahr wurde die Grünen-Abgeordnete Daniela Evers erstmals in den Landtag gewählt. Die Hochschwarzwälderin vertritt den Wahlkreis 46/ Freiburg I und ist innerhalb der Fraktion Vorsitzende eines Arbeitskreises im Bereich Justiz und Migration. Im Interview mit Max Schuler sagt sie, auf was es bei der Aufnahme der geflüchteten Ukrainer ankommt, welche Probleme sie im Tourismus sieht und was sich nach dem Verkehrschaos in ihrem Wahlkreis ändern muss.


BZ: Wie sehen Sie das Land aufgestellt hinsichtlich der Unterbringung der Geflüchteten aus der Ukraine?
Evers: Ich sehe einen sehr großen Willen zu helfen von Seiten des Landes aber auch von den Menschen im Land. Die Bereitschaft ist unglaublich groß. Wir sind im Grunde auch gut aufgestellt. Es wurden sehr schnell die Plätze in den Landeserstaufnahmestellen hochgefahren. Es wurde versucht ein breites Bündnis zwischen Kommunen und Land zu schmieden, um Unterbringungsplätze zu bekommen.

BZ: Doch die Abläufe scheinen noch nicht überall zu funktionieren.
Evers: Aufgrund der anderen rechtlichen Lage bei der Einreise der Ukrainer und Ukrainerinnen ist die Situation eine etwas andere als 2015. Jeder, der damals eingereist und sich gemeldet hat, wurde zentral nach Karlsruhe gebracht und von dort aus zugewiesen. Das ist für die Menschen nicht angenehmer, war aber organisatorisch einfacher zu bewältigen. Auf die neue Situation müssen sich alle Ebenen erst noch einstellen. Es ist schwierig, sich derzeit einen Überblick zu verschaffen, da muss man auch Verständnis für die Landesbehörden haben. Der von der Europäischen Union erstmals gezogene Beschluss führt zu einer schnellen Aufenthaltssicherheit ohne Asylanträge, was für die Menschen schnelle Sicherheit bringt. Die organisatorische Bewältigung der Bereitstellung der täglichen Bedarfe wird aber komplexer und fordert gerade alle Stellen sehr.

BZ: Was ist aus Ihrer Sicht jetzt notwendig, dass man die Situation wieder besser koordiniert bekommt?
Evers: Der zentrale Ankerpunkt ist die Registrierung. Das Land ist dran, möglichst schnell regionale Registrierungsstellen hochzufahren. Wichtig zu wissen ist aber: Schon vor der formellen Registrierung bewirkt ein Ersuchen an die Ausländerbehörde dass der Leistungsanspruch anspringt und die Menschen schnell versorgt werden können.

BZ: Bürgermeister in der Region fordern eine faire Verteilung der Geflüchteten, zumal viele Ukrainer bereits privat untergekommen sind. Sie fordern, dass diese Menschen bei der Verteilung berücksichtigt werden. Wie kann aus ihrer Sicht eine faire Verteilung gelingen?
Evers: Die Lasten müssen gemeinsam getragen werden. Es wird sicher noch einige Wochen dauern, bis sich einige Dinge angleichen. Aufgrund der geschilderten Besonderheiten bei der Anreise, lässt sich das noch nicht so zielgerichtet steuern. Nach meinen Informationen werden die Geflüchteten, die sich bereits in den Kommunen befinden, aber auf die Unterbringungsquote angerechnet.


BZ: Auf was muss man jetzt achten bei der Integration der Geflüchteten?
Evers: Für jeden Geflüchteten gilt, erstmal zu schauen, was dieser Mensch gerade benötigt. Die Menschen müssen ankommen und zur Ruhe kommen und über ihre Situation nachdenken. Ich höre aus vielen Helferkreisen, dass viele Menschen aus der Ukraine noch hoffen, relativ schnell wieder zurückkehren zu können. Wir hoffen alle, dass eine Friedenslösung gefunden wird, die das auch zulässt. Ob das realistisch ist, weiß ich nicht. Wichtig ist zunächst, dass schnell eine Unterkunft gefunden wird und die Menschen im Bedarfsfall medizinische Behandlung erhalten. Manche wollen sich vielleicht auch Arbeit suchen, dann benötigen sie Kinderbetreuungsstrukturen.

BZ: Vor einem Jahr wurden Sie erstmals in den Landtag gewählt. Was konnten Sie in dieser Zeit konkret für Ihren Wahlkreis umsetzen?
Evers: Das Jahr ist unglaublich schnell rumgegangen und war sehr dicht. Ich bin immer noch dabei, den Wahlkreis in seiner Gänze zu erfassen und meine Antrittsbesuche überall zu machen. Das ist bei 30 Wahlkreisgemeinden eine schöne, aber aber auch zeitaufwändige Aufgabe. Im Tourismus konnten wir eine spezielle Marketinglinie für Großschutzgebiete einbringen, was ich sehr wichtig finde, weil ich nachhaltigen Tourismus als große Aufgabe in den kommenden Jahren sehe und das kommt auch dem Naturpark Südschwarzwald unmittelbar zugute. Im Bereich der Migration konnte ich in Einzelfällen beim Justizministerium um erneute Prüfung bitten. Wir sind gerade dabei Bleiberechtserlasse zu verfestigen, wir sind dabei unabhängige Verfahrensberatung auszubauen und die Situation in den Landeserstaufnahmestellen anzugehen. Aber das wird naturgemäß derzeit überlagert durch die Krise, die durch diesen verbrecherischen Krieg ausgelöst wurde.


BZ: Sie setzen sich auch für nachhaltigen Tourismus ein. Wie schätzen Sie die Branche in ihrem Wahlkreis ein und was kann das Land machen, um die Betriebe zu unterstützen?
Evers: Es gibt zwei ganz große Probleme. Die Coronapandemie hat den bereits bestehenden Fach- und Arbeitskräftemangel noch weiter verschärft. Viele Betriebe befürchten, dass die ehemaligen Mitarbeiter auch nicht mehr zurückkehren. Wir werben verstärkt in Schulen. Doch wir können eben auch im Bereich des Bleiberechts etwas unternehmen und Menschen, die schon hier bei uns sind über Arbeitsverhältnisse in der Gastronomie und im Tourismussektor eine Perspektive bieten und der Branche zu helfen.

BZ: Und was ist das zweite große Problem?
Evers: Die Kriegsgeschehnisse bergen für die Branche einen weiteren Unsicherheitsfaktor. Einige Zielgruppen aus dem Ausland sehen in Europa gerade einen Unruheherd. Bei asiatischen oder amerikanischen Gästen wird sicherlich auch eine Zurückhaltung da sein. Betriebe, die mit solchen Reisegruppen gerechnet haben, bekommen dann nach Corona schon wieder ein Problem.

BZ: Welche Gebiete in Ihrem Wahlkreis sind da aus Ihrer Sicht besonders betroffen?
Evers: Vor allem die touristischen Hotspots, die international bekannt sind und auf den Routen der Reisegruppen sehr beliebt. Da zählt beispielsweise der Titisee ganz stark dazu. Für diese Betriebe ist das jetzt schon über eine sehr lange Zeitdauer schwierig. Deshalb ist es wichtig, die Segmente im innerdeutschen und binneneuropäischen Tourismus auszubauen. Da kommen wir auch wieder in den nachhaltigen Tourismus. Da haben der Schwarzwald und die Stadt Freiburg viel zu bieten.

„Der Klimawandel in seinen Auswirkungen bleibt das drängende Problem in den nächsten Jahren. Bei dem Kampf dagegen darf es nicht zu einer Unterbrechung kommen.“
BZ: Eines ihrer Wahlkampfthemen war eine Intensivierung des Klimaschutzes. Rückt dieser angesichts des Kriegs in der Ukraine in den Hintergrund?
Evers: Man darf das eine nicht gegen das andere aufwiegen. Es stellen sich gerade viele Fragen auch die nach der Energieversorgung. Der Klimawandel in seinen Auswirkungen bleibt das drängende Problem in den nächsten Jahren. Bei dem Kampf dagegen darf es nicht zu einer Unterbrechung kommen. Ein Vorteil der regenerativen Energieversorgung ist, dass sie eine gewisse Dezentralität und Vororterzeugung hinbekommt. Was angesichts der Lage in der Ukraine natürlich an Relevanz gewinnt.

BZ: Die Energieversorgung hat eine sicherheitspolitische Dimension erhalten. Was muss das Land unternehmen, damit die Energiewende schneller vorankommt?
Evers: Wir versuchen, bei der Planung eine deutliche Beschleunigung hinzubekommen. Das wird nicht mehr lange dauern. Durch Förderinstrumente müssen wir gezielt den Nahwärmeausbau und die Wärmeplanung weiter vorantreiben. Da hat das Klimaschutzgesetz wirklich einen deutlichen Standard gesetzt. Wenn wir die Umsetzung jetzt auch durch das neue Ministerium im Wohnungsbau hinbekommen, dann haben wir da schon einige Schritte gemacht. Die Energieerzeugung für die Wirtschaftsbetriebe sicherzustellen, wird aber nicht einfach.

BZ: Das Land, die Bahn und die Region haben ein Konzept vorgestellt, wie es auf der Breisgau-S-Bahn besser laufen soll. Wie bewerten Sie dieses?
Evers: Für den östlichen Teil der Strecke im Schwarzwald sah ich die Weiterentwicklung der Breisgau-S-Bahn schon immer als deutliche Verbesserung an. Nichtsdestotrotz müssen Mängel auf der ganzen Strecke abgestellt werden. Einen durchgängigen zweigleisigen Ausbau der Breisgau-S-Bahn werden wir nicht bekommen, aber der Ausbau muss weitergehen. Doch die Breisgau-S-Bahn ist auch nur ein Teil der Mobilitätswende. Der Rheintalausbau muss jetzt massiv vorangehen. Der Busverkehr muss verdichtet werden, was auf Kreisebene bereits geplant wird. Der Schwarzwald muss die Radwege-Infrastruktur ausbauen mit Ladesäulen für E-Bikes und das Carsharing muss noch deutlich weiter in der Fläche etabliert werden.

BZ: Vergangene Woche herrschte in Ihrem Wahlkreis Verkehrschaos, weil das Höllental dicht war und gleichzeitig zwei Ausweichstrecken ausfielen. Was muss sich da ändern, damit so etwas nicht wieder vorkommt?
Evers: Sicher war die Häufung der Sperrungen und Unfälle eine Extremsituation. Mein Dank gilt allen Rettungskräften, die hier vor Ort die Rettungseinsätze unter schwierigen Bedingungen bewältigen mussten. Verkehrspolitisch müssen wir dennoch aus dem Wochenende Schlüsse ziehen. Steinschläge und Erdrutsche werden sich nach Einschätzung vieler Fachleute aufgrund der Klimaveränderung häufen. Präventive Felssicherung, ein regelmäßiges Monitoring der Steilhänge und gegebenenfalls bauliche Schutzmaßnahmen müssen Schiene und Straße sichern. Gleichzeitig wurde einmal mehr klar, dass die Nebenstrecken der B 31 Umleitungen über längere Zeiträume nicht fassen können. Hier braucht es eine weiträumige konsequente Schwerlastverkehrsumlenkung sowie eine Verbesserung der Streckeninformationen, gegebenenfalls auch Vorrangstrecken für Schienenersatzverkehr zur Sicherung des Pendler- und Schülerverkehrs. Ich werde mich zeitnah mit betroffenen Bürgermeistern und den Verkehrsbehörden hierzu austauschen.
Daniela Evers ist Juristin und Grünen-Landtagsabgeordnete. Sie wohnt in Titisee-Neustadt.